Schrittweise Übergabe der Verantwortung an Afghanistan
Auf Initiative Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens kamen am Donnerstag 70 Delegationen in London zusammen, um über die weitere Entwicklung Afghanistans zu beraten. Angesichts der gemischten Bilanz des bisherigen Einsatzes wurde eine internationale Strategie der "Übergabe in Verantwortung" an die Afghanen verabredet. Dazu gehören auch mess- und nachprüfbare Schritte, die den Weg zum Ausstieg aus der Ende 2001 gestarteten Militärmission ebnen sollen.
Der Gastgeber der Konferenz, Premierminister Gordon Brown, sprach vom "Beginn einer neuen Phase" und warb für einen Ansatz der "Afghanisierung". Distrikt für Distrikt, Region für Region solle den Afghanen die Verantwortung für die eigene Sicherheit übertragen werden. Beginnen will man damit schon in diesem Jahr. Außenminister Guido Westerwelle vertrat Deutschland in London.
Afghanistans Präsident Hamid Karsai versicherte, dass sein Land bis 2014 in der Lage sein werde, selbst für die eigene Sicherheit zu sorgen. Dafür will er nach derzeitigem Stand 171.600 Soldaten und 134.000 Polizisten ab 2011 einsetzen. Daneben will der Präsident ein Reformprogramm für die Wirtschaft auf den Weg bringen. Im Mittelpunkt steht der Kampf gegen die Korruption, um das Investitionsklima zu verbessern und die Grundlage für mehr Arbeitsplätze zu schaffen. "Afghanistan hat sich langsam bewegt", räumte Karsai ein. Doch habe sein Land "die Lektion" gelernt und setze sich für die kommenden fünf Jahre nachprüfbare und konkrete Ziele.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach von hohen Erwartungen an Afghanistan. Die Regierung in Kabul müsse selbst die Führung und die Verantwortung für den Entwicklungsprozess übernehmen. Tatsächlich hatte Karsai bereits in seiner Inaugurationsrede Selbstverpflichtungen der Afghanen in fünf Bereichen benannt: Reintegration, Sicherheit, gute Regierungsführung, wirtschaftliche und soziale Entwicklung sowie die regionale Einbettung des Stabilisierungsprozesses.
Deutschland unterstützt Neuansatz
Damit der Neustart in Afghanistan gelingt, wird die Bundesregierung ihren Beitrag leisten: künftig werden 1.400 Bundeswehrsoldaten anstatt 280 ihre afghanischen Kameraden ausbilden. Auch die Zahl der deutschen Polizeiausbilder werde von 123 auf 200 erhöht, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung betonte. Daneben verdoppelt die Koalition die Entwicklungshilfe für Afghanistan auf 430 Millionen Euro jährlich und zahlt 50 Millionen Euro in einen Reintegrationsfonds. Mit diesen Mitteln sollen Beschäftigungsangebote und Ausbildungsprogramme für Dorfgemeinschaften finanziert werden, die den Taliban ihre Unterstützung entziehen. Der Fonds soll insgesamt 350 Millionen Euro umfassen.
Afghanische Regierung soll künftig Hälfte der Hilfsgelder verwalten
Dass der Ansatz der "Afghanisierung" keine Leerformel ist, beweist eine Passage im Schlussdokument der Konferenz: Künftig soll die Hälfte der internationalen Aufbauhilfe direkt in den afghanischen Staatshaushalt fließen und von dort weiter verteilt werden. Bislang wird der weitaus größte Teil der Hilfsgelder von den Geberstaaten oder über von ihnen ausgewählte Nichtregierungsorganisationen vergeben. Diese Maßnahme soll den Rückhalt für die afghanische Regierung in der Bevölkerung stärken. Die Neuregelung ist allerdings zunächst auf zwei Jahre befristet und an Auflagen geknüpft. Dazu zählen der Kampf gegen die Korruption und Verbesserungen in der staatlichen Finanzverwaltung. Einzelheiten sollen noch vor der geplanten nächsten Afghanistan-Konferenz im Frühjahr in Kabul in Verhandlungen mit der afghanischen Regierung geklärt werden.